Die Dynamik der Haltungen

Eine Haltung ist nichts, was wir permanent in allen Lebenslagen besitzen, sondern etwas, was wir immer wieder üben und aktiv einnehmen.

Bewusstseinserweiterung und emotionale Rückschritte

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Keine Haltung ist für immer

Wir nehmen nicht Tag und Nacht und in allen Lebenssituationen die gleiche Haltung ein, sondern erleben einen ständigen Wandel. Dies kann bewusst gewählt sein oder unterbewusst stattfinden. In manchen Situationen kann ein bewusster Wechsel der Haltung empfehlenswert sein. In diesem Sinne können wir innerhalb eines Tages durch alle Haltungen gehen. 

Wir haben das Potenzial, unsere Haltung im Leben bewusst zu wählen.

Allerdings brauchen wir Referenzerfahrungen, um neues Denken und neue Haltungen einzuüben. Wir können alle Haltungen annehmen, die wir bisher kennengelernt und geübt haben. Durch ständige Erweiterung unserer Erlebnisse kreieren wir neue Referenzerfahrungen. Neue Gemütszustände und Bewusstseinszustände eröffnen neue Perspektiven. Diese können wir in unser Denken und Handeln integrieren und somit komplexere Haltungen einnnehmen. Können wir in unserem Denken nicht auf andere Haltungen zurückgreifen, fällt es uns schwer, diese nachzuempfinden und selbst einzunehmen.

In diesem Sinne inkludiert jede neue Haltung die vorhergehenden Haltungen, ist also als Erweiterung der Denk- und Handlungsmöglichkeiten zu verstehen. 

Vom liebevollen Austausch auf Augenhöhe zum Geschrei und wieder zurück
Unsere Haltung verändert sich unbewusst, wenn innere Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Wir sprechen dabei von temporärer Regression. Je tiefer dieses nichterfüllte Bedürfnis liegt, umso drastischer kann die plötzliche Veränderungen in unserem Verhalten ausfallen. 

Temporäre Regression ist normal - wir alle kennen sie
Die temporäre Regression beschreibt einen kurzzeitigen Rückfall in unserer Haltung. Die Regression kann uns auch helfen, die verschiedenen Haltungen in uns und unsere eigene Vielheit zu erkennen. 

Grundsätzlich handeln wir nicht konstant aus einer bestimmten Haltung heraus, sondern können je nach Situation aus unterschiedlichen Haltungen agieren, die wir bereits geübt haben.

Bei der temporären Regression handeln wir kurzzeitig unter unserem möglichen Potential - mitunter weit unter ihm. Wir vergessen, dass wir es eigentlich schon besser können. Im Nachhinein kann uns unsere eigene Stumpfsinnigkeit und Unreflektiertheit lächerlich vorkommen. 

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Ein Beispiel dafür sind Streits in Beziehungen. Wenn die Emotionen hochkochen, wird unter Umständen nicht mehr sachlich und auf Augenhöhe argumentiert. Stattdessen fliegen die Fetzen. Vorwürfe und frühere Streitpunkte werden herausgekramt und es wird bis zum bittenden Ende diskutiert. Laut werden Schimpfworte durch den Raum geworfen und irgendwann geht es bloß noch ums Gewinnen und nicht mehr um die Sache. Das kann uns selbst passieren oder unserem Gegenüber.

Wenn wir beispielsweise bei unserem Partner/in einen Wutausbruch miterleben, gilt es, gelassen zu bleiben. Wir wissen, dass unser Partner/in situationsbedingt und von Emotionen gesteuert zu diesem Gefühlsausbruch verleitet wurde. Diese temporäre Regression ist kein dauerhafter Zustand und kann mit Ruhe und Empathie sehr schnell überwunden werden. Wichtig ist hierbei, dass wir die Regression registrieren und sie gelassen beim anderen lassen. Bloß weil unser Partner/in unter seinem/ihrem Niveau handelt müssen wir uns nicht auch auf dieses Niveau herabbegeben.

In seiner/ihrer subjektiven Wahrnehmung und subjektiven Denksystem hat er/sie in diesem Moment Recht. Alle Vorwürfe und Aussagen, mögen sie noch so weit hergeholt sein, entsprechen einer inneren Wahrheit des Gegenübers. Wir können unserem Gegenüber helfen, indem wir Verständnis für diese Gefühle aufbringen, ohne uns davon angegriffen zu fühlen. 

Die Schritte der Regression sind klar zu erkennen und umgekehrt ebenso die Schritte der Reifung
 In der Regression verlieren wir zuerst das Gesamtbild aus den Augen, der Fokus verengt sich auf uns selbst. Danach verlieren wir den Kontakt zu unserem Mitgefühl. Wir vergessen, dass auch andere Bedürfnisse und Motivationen hinter ihrem Handeln haben. Anschließend fehlt unser eigenständiges Denken. Wir sind gesteuert von Glaubenssätzen und Annahmen. Schlussendlich verschwindet unser Verstand bis es schließlich sogar zu anstandslosem Verhalten kommen kann.

Dazu ein Beispiel: 

Mein sonst reflektierter Bruder ist im Normalfall sehr bedacht, was seine Mitmenschen angeht. Ob er für unsere Familie kocht oder einkauft, Freunde zu Ausflügen einlädt oder entspannte Partys feiert, ihm liegt es am Herzen, dass alle eine gute Zeit haben. Gerne tut er seinen Mitmenschen Gutes und diskutiert dabei über Umwelt und den großen Sinn des ganzen Lebens. 

Nun sitzen wir mit ein paar Freunden am Tisch und Spielen "Risiko". Auf einmal wird aus dem sonst aus der relativierend-individualistischen Haltung handelnden, liebenswerten, jungen Mann ein aggressiver, selbstfokussierter Egoist. Laut verkündet er, dass er die Weltherrschaft erringen wird und uns alle auslöschen wird. (In diesem Fall tatsächlich ein mögliches Ziel des Spiels "Risiko".) Durch das Spiel und die damit einhergehende Mission verändert sich seine Haltung für die nächsten Stunden drastisch. Alleine gegen den Rest der Welt will er alle Konkurrenz auslöschen und als einzig wahrer Sieger überleben. Plötzlich ist er dementsprechend in die selbstorientiert-impulsive Haltung zurück gerutscht. Sein Überlebensmodus wurde aktiviert. 

In seinem Fall hat das Spiel diese temporäre Regression ausgelöst. Nach dem Spiel wird er schnell in eine ihm sonst eher entsprechende Haltung zurückfinden. Dabei helfen ihm in diesem Fall die Veränderungen der Rahmenbedingungen, sprich, das Spiel ist beendet. Die Regeln des Spiels und die Mission, andere auszustechen, gelten jetzt nicht mehr. Mein Bruder kann sein Konkurrenzdenken wieder ablegen und mit uns kooperieren. Er kämpft nicht mehr um sein Überleben. Sicherheits-, Sozial- und Individualbedürfnisse sind gestillt. Beim gemeinsamen Kochen des Abendessens können wir über seine Tyrannei während des Spiels lachen. 

Die Veränderung der Rahmenbedingungen ist ein Schlüssel für den Wandel durch die verschiedenen Haltungen. Dadurch verändern wir, welche Bedürfnisse bereits gestillt sind. Welche Rolle haben wir in unserem Handeln? Was ist unser innerer Antreiber? Welche Bedürfnisse wollen wir stillen? Dadurch können wir uns und anderen in der Entwicklung helfen. 

Jede neue Haltung ist eine Form der Bewusstseinserweiterung - und eine Befreiung

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Um in den Haltungen zu reifen, hilft es uns, unsere inneren Bedürfnisse zu stillen.

Dies beginnt mit dem Sicherheitsbedürfnis. Solange dieses nicht gestillt ist, liegen Reiz und Reaktion nah beieinander. Wir sehen uns als Mittelpunkt der Welt und kämpfen ums Überleben.
Regeln und Ordnung zu etablieren, die unser Überleben sichern, hilft uns, in die nächste Haltung zu kommen. Nun sind es die sozialen Bedürfnisse, die unser Handeln bestimmen und gestillt werden wollen. Teil der Gemeinschaft zu sein, dazu zu gehören hat Priorität.
Wenn wir unseren kritischen Verstand aktivieren und uns von den Zwängen der Gemeinschaft lösen können, beginnen wir, individuelle Bedürfnisse zu entwickeln. Rationales Denken verhilft uns zu mehr Individualität, und wir lösen uns von dualistischen Ansätzen. 
Sich von dieser Dualität zu lösen, bringt mehr Komplexität in unser Denken. Die Selbstermächtigung ist hierfür der Schlüssel. Es gibt nicht mehr bloß "richtig" und "falsch", "schwarz" und "weiß". Es gibt viele Möglichkeiten dazwischen und wir erkennen uns als mächtig, aus all diesen Optionen frei zu wählen. Wir sind nicht mehr eingeengt von den Sachzwängen der Welt und erkennen unser Gestaltungspotential. Wir können berauscht sein von unseren Talenten und der äußeren Bestätigung. 
Der nächste Schritt ist, sich von diesem Drang nach äußerer Bestätigung zu befreien. Dafür brauchen wir Mitgefühl, für uns und unsere Mitmenschen. 
Doch in diesem Mitgefühl und der Komplexität der Welt können wir uns selbst verlieren. Der Wunsch nach innerer Loslösung dieser Konstrukte, nach innerer Autonomie hilft uns in die systemisch-autonome Haltung. Wir lassen uns von innen führen und nutzen unser Herz, unseren Verstand und unser Bauchgefühl, um sinnorientiert, auf Augenhöhe und in Balance mit unseren Mitmenschen und uns selbst zu leben. Das ist unser Potenzial. Wir wissen, dass wir das können.

Kleine widrige Momenten im Alltag oder innere ungestillte Bedürfnisse sorgen dafür, dass wir wir unser Potential nicht immer voll leben. 

Menschen in Belastungssituationen neigen dazu, in frühere - eigentlich "überlebte" - Haltungen zurückzufallen. Ein Blick auf die Infografik kann helfen, kurz inne zu halten und sich zu fragen, aus welcher Haltung heraus mensch gerade agiert und zu überlegen, ob es die Haltung ist, die mensch wirklich einnehmen will. 

Um uns selbst auf die Spur zu kommen und uns bewusst zu machen, was in uns vorgeht, können folgende Fragen hilfreich sein:

Was mache ich hier eigentlich gerade? 

Warum sage ich Dinge, die ich nicht so meine? 

Warum kommuniziere in nicht sinnorientiert und auf Augenhöhe? 

Welche Bedürfnisse habe ich gerade? 

Wie kann ich diese stillen und den Blick auf Ganze wiederbekommen? 

Das Hinterfragen unseres Handelns macht uns bewusst, was gerade passiert.

Wenn wir unsere Regression bemerken und uns diese bewusst vor Augen führen, können wir bewusst Haltung dazu einnnehmen. Zu unserem Verhalten, zu unserer Denkweise und zum Leben überhaupt.

Wir können bewusst entscheiden, mit welcher Haltung wir durchs Leben gehen wollen und wie weit wir unser Potenzial leben. 

Die einzelnen Haltungen stelle ich in folgenden Artikel jeweils ausführlich dar: 

Die selbstorientiert-impulsive Haltung

Die gemeinschaftsbestimmt-konformistische Haltung

Die rational-funktionalistische Haltung

Die eigenbestimmt-souveräne Haltung 

Die relativierend-individualistische Haltung

Die systemisch-autonome Haltung

Haltung entscheidet über Zukunft 

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