Wer ist die vitalste Person, die Sie kennen?

Weg mit dem Defizitmodell – Älterwerden ist Entwicklung!

Wer ist die vitalste Person, die Sie kennen?

Auf diese Frage höre ich in Vorträgen und Workshops in der Regel von 70-Jährigen, die sich durch ihre Lebenslust auszeichnen. Die die Welt bereisen oder die Nachbarschaft bereichern. Oder von 90-Jährigen, die trotz Lesebrille und Hüftgelenk die Menschen in ihrem Umfeld inspirieren.

Von 40-Jährigen ist hier fast nie die Rede.

Und dennoch gelten alle ab Mitte oder spätestens Ende 50 in der Unternehmenswelt als Ältere. Und damit als Personen, die eben nicht mehr auf der Höhe ihrer Leistungskraft sind. Sie gelten als diejenigen, die den Fortschritt eher blockieren und sich mit moderner Technik schwer tun. Als diejenigen, die immer sagen: Das haben wir schon immer so gemacht! Und diejenigen, die stärker an die Rente als an eine weitere berufliche Entwicklung denken. 

Dabei zeigen Studien längst, dass diese Vorurteile nicht mehr zutreffen.
Mit dem Alter nimmt die Leistungskraft nicht automatisch ab, sondern viel mehr sind die Unterschiede zwischen den Menschen stets größer als die Veränderung im Lebenslauf. Es stimmt zwar, dass die Merkfähigkeit und auch die körperliche Kraft eines 20-Jährigen und eines 55-Jährigen sich unterscheiden. Aber diese Unterschiede fallen in den allermeisten Jobs überhaupt nicht ins Gewicht: Erfahrung und niedrige Fehlerquote gleichen aus, dass man vielleicht mit 55 kein Multitasking mehr machen möchte oder seine Mittagspause ernster nimmt. Die Zahl der Gründer und Gründerinnen, die erst in späteren Lebensjahren ihr eigenes Business gründen, steigt ständig. Sogar bei den Patentanmeldungen stehen Erfinder 50plus den Jüngeren in Nichts nach.

Eher scheint die gewisse Abwertung der Älteren im Unternehmen eine selbsterfüllende Prophezeiung zu sein.
Sehr viele Beschäftigte fühlen sich ab Mitte 50 von ihren Chefs und Chefinnen kaum noch gesehen. Weiterbildungen für diese Zielgruppe gibt es kaum, berufliche Veränderung wird nicht mehr gefördert und Studien zeigen eindrücklich: Personaler laden stets die jüngeren Bewerber ein, wenn sie Bewerbungen mit mit gleicher Qualifikation und unterschiedlicher Altersangabe erhalten. Kein Wunder, dass sich viele irgendwann auch selbst denken: Meine produktivste Zeit ist vorbei.

Aber das Bemerkenswerteste an der Sache ist eigentlich: Ganz gleich, wie viele Studien und Untersuchungen, Best Practice und persönliche Berichte auch beschreiben, dass wir mit 50 und auch 60 Jahren produktiv, einfallsreich und flexibel sein können – das Wissen scheint nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen.

Immer noch denken die meisten Führungskräfte beim Thema „Ältere führen“ daran, wie man diese schwierige Gruppe irgendwie in den Griff kriegt – statt endlich anzufangen, sie ernst zu nehmen, weiter zu fördern, auch herauszufordern, Talente zu sehen, berufliche Veränderungen zuzulassen und sie zu unterstützen.

Was steht dem im Weg?
Leider ist es eine Eigenheit unseres Gehirns, die uns das Umdenken schwer macht – und nur, wenn wir sie durchschauen, wird sich etwas verändern.

  1. Unsere Wahrnehmung ist verzerrt durch einen Bestätigungsfehler: Informationen, die unsere vorhandene Einstellung bestätigen, finden wir glaubwürdiger als neue, widersprechende Informationen. Insofern sehen wir den 60-Jährigen, der täglich die Tage bis zur Rente zählt, wie durch eine Vergrößerungsglas – und die 57-Jährige, die gerade eine Weiterbildung im Bereich Social Media macht, lässt unser Hirn einfach unter den Tisch fallen. Es kann sogar passieren, dass wir Ältere, die nicht unserer Vorstellung entsprechen, extrem kritisch bewerten – einfach, weil wir sie als lästige Ausnahme sehen: „Warum denkt meine Bekannte darüber nach, sich mit 60 noch selbstständig zu machen? Die spinnt doch!“
  2. Es ist hart aber wahr: Wir Menschen neigen zum Mitläufertum. Vertreten 5 oder mehr Personen in einem Raum eine offensichtlich falsche Meinung, tendieren wir dazu, uns dieser Meinung anzuschließen –wider die Vernunft. Das heißt im Arbeitskontext: Wenn viele sich darauf eingeschwungen haben, dass die Beschäftigten ab Mitte 50 eine problematische Gruppe sind, dann passen wir uns dieser Meinung an.

Was hilft? 

  • Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit bewusst auf die Ausnahmen Ihrer Annahmen über das Älterwerden.
  • Betrachten Sie sich selbst: Was können Sie heute besser als vor zehn Jahren?
  • Gestehen Sie jedem Menschen in jedem Alter zu, dass er sich entfalten möchte. Älterwerden ist Entwicklung!

Wenn Älterwerden im Beruf bedeutet, dass wir uns entwickeln dürfen, unsere Erfahrung immer wieder mit neuem Wissen verbinden können, und uns somit neue Tätigkeitsfelder erschließen können, dann macht Arbeit über Jahrzehnte hinweg Freude.

Werden Sie zum Entwickler– für alle Menschen um sich herum und für sich selbst!