Zorro und echte Veränderung

Erst mit dem Ritzen des Zorro-Z auf den Oberkörper initiieren wir echte Veränderung

Gastbeitrag von Remo Rusca

Veränderung geschieht nicht, indem du sie denkst.

McKinsey ist auf dem Prüfstand, schreibt der Economist kürzlich. Es ist Zeit: Werde unabhängig von Beratern und zeige vor, wie Veränderung geht. Dann gelingt auch die nächste Entwicklung im Rahmen der viel besungenen Transformation. Veränderung geschieht nicht, indem du sie denkst. Es braucht den Bruch mit unbewussten Mustern, die tief in uns verankert sind, um den nächsten Schritt zu gehen. Dafür sind Vorbilder und lebendige Labore nötig.

Von Füchsen und Igeln

Der griechische Philosoph Archilochos hat diesen Vergleich eingeführt und Isaiah Berlin hat ihn auf die Interpretation der Geschichte angewandt. Dabei geht es darum, dass der Fuchs mehrere Perspektiven integrieren kann, während der Igel sich auf eine Richtung fokussiert. Die Universität St. Gallen hat 2013 in einer qualitativen Befragung von Top-Führungskräften festgestellt, dass es zu viele Igel und zu wenige Füchse in den Chefetagen gibt. Dies ist auch nicht überraschend, wenn der Fokus der Wirtschaft auf Geld verdienen alleine ausgerichtet ist. Dann braucht es Igel an der Spitze, die den Fokus wahren. So ist es auch nicht überraschend, dass primär Männer an der Spitze sind. Weil aber diese Charakterzüge nicht an das Geschlecht gebunden sind, geht es nicht um die Genderfrage, sondern um Selbstreflexion.

Dafür braucht es den Fuchs in uns, der unterschiedliche Perspektiven einnimmt, um die Vielfalt eines Problems anzuerkennen. Denn nur so können wir auch die Komplexität der eigenen Entwicklung verstehen.

Unser Gehirn hat eigentlich drei Gehirne. Das eine denkt (Neocortex), das andere fühlt (limbisches System) und das letzte ist das Unterbewusstsein (Cerebullum). Dort werden Verhaltensmuster gespeichert, die über Wissen (denken) und Erfahrung (fühlen), also über eine erste Stimmung und Temperament zu einem Persönlichkeitsmerkmal heranwachsen. Veränderung ist deshalb so schwierig, weil es die Tiefen der menschlichen Existenz benötigt, um Wirkung zu erzielen. Deshalb sind Vorbilder so bedeutend. Der Mensch braucht Einsicht über ein Vorbild oder eine Krise, um in die Veränderung zu kommen. Während eine persönliche Krise hilfreich sein kann, können wir uns die Krise als Gesellschaft (z.B. Klima oder unbalancierte Digitalisierung) nicht leisten. Denn unser natürlicher Körper und Geist ist das um Meilen intelligentere System als das was wir bisher als Gesellschaft an Institutionen und Regeln hervorgebracht haben. Wie kriegen wir diese Entwicklung noch hin?

Das geritzte Z von Zorro als Analogie

Die Geschichte und Literatur hat schon immer interessante Meme hervorgebracht. Eine der bekanntesten ist diejenige von Zorro. «Zorro» heisst auf spanisch Fuchs und geht auf eine Geschichte zurück, die in den Grenzgebieten zwischen Kalifornien und Mexiko Anfang des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben soll. Ein Mann der Elite hat inkognito seinesgleichen herausgefordert, um die Rechte der Bevölkerung zu wahren, indem er dazu beigetragen hat, dass Kalifornien in den amerikanischen Staatenbund eintrat. Sein Markenzeichen war das eingeritzte Z auf dem Oberkörper seiner Gegner. In einem Remake von Hollywood mit Anthony Hopkins, Antonio Banderas und Catherine Zeta-Jones wird sichtbar, wie Hopkins (der erste Zorro) seinen Nachfolger von seinem ursprünglichen Ziel der Rache zu einem ausbalancierten Leader für die damals gute Sache entwickelt. Auch wird sichtbar, wie der Mann nur dann in seiner Männlichkeit wächst, wenn er seine Integrität lebt und alle Rollen bewusst und unbewusst auslebt. Erst dann kommt er in die Position, dass er als Fuchs und eben nicht als Igel eine gesellschaftliche Veränderung bewirkt. Denn unbewusste Muster können verändert werden.

Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst

Die Analogie des Z ist ein Muster der Veränderung. «Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst», ist ein Zitat von Gandhi, dem gewaltfreien, indischen Freiheitskämpfer. Sowohl in der Geschichte von Zorro als auch in der von Gandhi ist diese Vorbildwirkung vorhanden. Echte Leader sind Füchse, die alle Perspektiven sehen, annehmen und vermitteln. Dabei aber auch klar und deutlich ihre Botschaft haben und sich glaubwürdig verhalten, weil sie sich in die dafür nötige Haltung entwickelt haben. Dieses Muster der echten Leader finden wir auch bei Mandela und zahlreichen anderen Change Maker*innen.

Die positive Nachricht ist, dass wir uns alle dorthin entwickeln können; die einen einfacher, die anderen mit mehr Unterstützung.

Letzteres weil wir mit mehr oder weniger, mit leichteren oder komplexeren Mustern im Unterbewussten den Alltag meistern dürfen. Deshalb geht es in der nächsten Entwicklung der Gesellschaft nicht mehr um links oder rechts, sondern um die Frage wie wir Geschäftsmodelle (weiter)entwickeln.

Sichtbare Dilemmata der gesellschaftlichen Veränderung heute

Wir stecken heute in diversen Zielkonflikten fest. Nur Füchse können diese überwinden. Sichtbar sind heute vor allem zwei Dilemmata: Erstens geht es darum, Brücken zwischen aktuellen und zukünftigen Fähigkeiten zu bauen.

Denn die geforderten Kompetenzen in Gesellschaft und Wirtschaft verändern sich grundlegend. Dieses Thema ist in aller Munde.

Das WEF hat es bereits 2015 aufgenommen und heute ist es in der Bildung angekommen. Und zweitens führt die Sehnsucht nach Veränderung zu mehr Polizist*innen statt smarten Macher*innen. Die Proteste der Klimajugend haben Recht, aber die nachhaltigen Lösungen werden nicht (nur) neue Gesetze bringen. Veränderung beginnt, indem wir mit dem Frontallappen (Neocortex) lernen zu verstehen ohne mit Prägungen aus dem Unterbewusstsein zu urteilen. Deshalb ist die Wissenschaft wichtig.

Keine digitale, sondern eine menschliche Transformation

2019 hat das Gottlieb Duttweiler Institute 31 Protestwellen rund um den Erdball gezählt. Wir stecken in einem Dilemma fest, das wir ohne eigene Entwicklung als Menschen nicht lösen werden. Wenn es um Transformation geht, sollten wir zuerst verstehen, was Transformation ist. Es ist die Veränderung von einem Zustand zum nächsten, wobei diese Veränderung kontinuierlich ist. Während die Technologie und die Natur bereits intelligente Formen der Zusammenarbeit haben, sind wir als Menschheit meilenweit davon entfernt. Die digitale Entwicklung und die Klimaveränderung sind nur Mittel zum Zweck. Der Zweck ist die Entwicklung zur intelligenten Netzwerk-Gesellschaft. Deshalb brauchen wir eine digitale und klimatische Revolution, um aus unserer Komfortzone zu erwachen. Es geht weder um eine digitale noch um eine natürliche Transformation, sondern um DIE Transformation und damit den Menschen. Wir haben es in der Hand, wenn wir die nötige Veränderung wirklich verstehen und annehmen wollen. Denn die Wissenschaft hat unlängst die Neuroplastizität beschrieben. Sie besagt, dass wir Menschen uns jederzeit verändern können. Wir müssen es einfach bewusst in Angriff nehmen. Es reicht weder zu bewahren noch mit Druck die Veränderung schneller zu erkämpfen, als Menschen folgen können.  

Deshalb sind jetzt die Kräfte in der Mitte gefragt, die die Transformation in ein mehrheitsfähiges Licht rücken. Mit Ursache und Wirkung alleine können wir komplexe Systeme nicht steuern.

Wir müssen uns ehrlich fragen, wieso wir urteilen, wieso wir zynisch reagieren oder vor was wir Angst haben.

Es gilt unbewusste Muster (Glaubenssätze, etc.) bewusst zu integrieren und uns in Netzwerken zu einer neuen Form von Zusammenarbeit zu begeben. Dabei sind intelligente Technologien nützlich. Diese entwickeln sich gerade exponentiell. Tun wir das als Menschen den Maschinen nach, schaffen wir den Wandel. Veränderung beginnt auf der individuellen Ebene mit einer anderen Form von Führung, die inspiriert und gestaltet. Es braucht somit mehr und nicht weniger Führung. Eine Führung die beim Selbstwert und dem Brechen von Mustern beginnt.

Den Fuchs in sich wecken und Veränderung angehen

Erst wenn wir bereit sind das Z auf den eigenen Oberkörper zu ritzen, wenn wir bereit sind, uns zu verändern, kommen wir diesen Mustern auf die Spur. Dafür müssen wir uns von drei Dingen verabschieden: Erstens von der Vorstellung, dass wir ein Gehirn haben. Zweitens von der Idee, dass Gefühle für Männer nichts sind und deshalb auch nicht in die Arbeit gehören und drittens bunkern Führungskräfte die Idee, dass Kommunikation einfach ist. Wir können erst wirklich verändern und uns in der Netzwerk-Gesellschaft bewegen, wenn wir offen reden, offen fühlen und offen agieren. Dafür brauchen wir drei Qualitäten. Wir sind aufgefordert, das Urteilen (geschlossenes Denken), den Zynismus (kein oder wenig Mitgefühl) und die Angst zu überwinden. Wie bereits 1936 Franklin D. Roosevelt - ein anderer großer Leader und damaliger US-Präsident - in einem vielsagenden Moment (er erhebt sich aus seinem Rollstuhl) gesagt haben soll: «Das Einzige wovor wir Angst haben müssen, ist die Angst». Damit sind wir bei unserer Biologie und Neurologie angelangt. Wenn wir die Funktionsweise des eigenen Körpers nicht verstehen, können wir uns nicht bewusst über das, was unbewusst an Entwicklung angelegt ist, entwickeln. Aber genau das brauchen wir.

Das Z in den Oberkörper ritzen, benötigt eine starke und vor allem relevante Auseinandersetzung mit den persönlichen Werten und der Haltung.

Erst dann ist ein*e Leader*in dafür bereit, das eigene Verhalten und den eigenen Ausdruck auf einen höheren Zweck auszurichten. Im Kollektiv kann er*sie mit kulturellen und strukturellen Impulsen Menschen entwickeln und die Veränderung systemisch verankern.


Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an den systemischen Quadrant von Ken Wilber

Potenzial entwickeln: Mit einem Reallabor im ländlichen Raum und mit Selbstmanagement in Firmen

Wenn sich Igel und Füchse oder eben Manager*innen und Pionier*innen die Hand geben, entstehen integre Leader*innen. Leader*innen mit Haltung, die bereit sind, ihr persönliches Z mit Haltung auf den Oberkörper zu ritzen und es im Außen darzustellen. Zu ihren Fehlern, Abgründen und Lessons Learned zu stehen. Ein Trainings- und Methodenset zu Selbstentwicklung ist die Grundlage, um in Firmen zu wirken. Auch lade ich mit vielen weiteren Macher*innen aufs Land ein. In einen Ort namens Lichtensteig im malerischen und machenden Toggenburg, wo der erste “Ort für Macher*innen” Ende 2019 als kreatives Reallabor entstand. Bereits vorhanden waren neue, eher urbane Konzepte, wie das Macherzentrum, ein Rathaus für Kultur, ein Familienzentrum und eine Zeitgut-Genossenschaft für Nachbarschaftshilfe. Das Reallabor hat in der Folge eine Fabrik für die kreative Klasse initiiert und nun an eine engagierte Macher*innen-Gruppe übergeben. Nach Corona soll es gelingen, ein Programm für Entwicklung in KMU zu initiieren. Auf diesem Weg entsteht ein echtes urbanes Dorf, dass Impulse für die ganze Region setzen kann. Es zieht junge engagierte Menschen und mit der Zeit auch Fachkräfte an, die sich vom überfüllten Stadtleben abwenden. Dadurch werden auch Firmen Ansiedlungen wieder auf dem Land machen oder gleich hier starten, wo Freiräume vorhanden sind. Dieser Weg wurde gewählt, um dem Teufelskreislauf aus Abwanderung und mehrschichtigem Strukturwandel Einhalt zu gebieten und die Allianzen zwischen Stadt und Land zu stärken.

Anmerkung der Redaktion: Remo war auch zu Gast bei uns im Podcast ICH-WIR-ALLE. Hört gern mal rein!