Wie Meetings zu kreativen Denkräumen werden

Gastbeitrag von Michael Seibt

Wie können Team-Sitzungen produktiv und spannend werden und sogar Spaß machen?

Meetings sind oft langweilig und wenig effektiv. Thinking Environment nach Nancy Kline ist ein Ansatz, der eigenständiges und kreatives Denken fördert. Das brauchen Organisationen und Unternehmen, die mit flachen Hierarchien und agilen Methoden arbeiten und auf ihre Selbstorganisation vertrauen wollen.

Eine kreative Denkumgebung (Thinking Environment) versetzt Sie und Ihr Team in die Lage, regelmäßige Besprechungen und Meetings als einladenden Denkraum zu gestalten, der die frischesten und kreativsten Ideen und Gedanken zu einem Thema oder einer Frage einlädt. 

Der kreative Denkraum unterscheidet sich von herkömmlichen Moderationsmethoden durch einige Verzichte:

  • Es gibt keinen Moderator und
  • keine Rednerlisten.
  • Niemand erteilt das Wort und
  • niemand fasst zusammen.

Wenn Sie nun meinen, dann werde eine Teambesprechung doch keine Ergebnisse erzielen, lassen Sie sich von Thinking Environment überraschen:

  • Hier erkunden die Teammitglieder das Thema in Runden, Denkpaaren, Dialogen und Diskussionen der etwas anderen Art. 
  • Ein Facilitator achtet darauf, dass der offene Denkraum durch die Einnahme bestimmter Haltungen beim Zuhören und Sprechen möglich wird. 

Es lohnt sich, darauf einen genaueren Blick zu werfen.

Die 10 Grundhaltungen für eine kreative Denkumgebung

Eine kreative Denkumgebung lebt von 10 Grundhaltungen. Die Führungskräfte dürfen sie verkörpern und verinnerlichen, wenn sie diese Haltungen in ihrem Unternehmen erleben wollen. Dann können sie ihre Teams auf diesen Weg mitnehmen.

  1. Aufmerksam zuhören: Die Führungskraft zeigt aufrichtiges Interesse am Denken eines Kollegen, einer Kollegin. Sie hört nicht zu, um das Gesagte zu bewerten und gleich darauf etwas zu erwidern. Das Führungspersonal hört zu, um eigene, weiterführende Denkprozesse anzustoßen. Dieses Zuhören ist kreativ und fragt: was möchte gerade entstehen? Wie trägt das Gesagte zum Thema bei? Achtsames Zuhören öffnet den Denkraum. 
  2. Gleichheit in Bezug auf das Denken: Die Führungskraft betrachtet alle im Unternehmen als gleich in Bezug auf das Denken. Jeder und jede ist gleich würdig, etwas beizutragen. Niemand hat dabei einen Vorsprung vor anderen. Unterschiede in der Hierarchie oder im Status spielen für die Fähigkeit zum kreativen Denken keine Rolle. Gleichheit bedeutet auch, auf ungefähr gleiche Redeanteile zu achten.
  3. Gelassenheit: Oft wird in der Berufswelt ein Gefühl von Dringlichkeit erzeugt, um die Mitarbeitenden anzutreiben, die Bedeutung der eigenen Arbeit hervorzuheben oder die Motivation zu steigern. Der Haken dabei: die Zeit zum Denken kommt dabei zu kurz. Das wirkt sich negativ auf die Ergebnisse aus. Um die Qualität des Denkens zu verbessern, öffnet die Führungskraft Räume, die frei sind von Eile, Dringlichkeit und dem Gefühl des Getriebenseins. Sie gestattet sich, auch selbst so zu arbeiten. Voraussetzung ist, dass eine gewisse Gelassenheit zur Kultur des Unternehmens gehört. 
  4. Wertschätzung: Führungskräfte, die ihren Kolleginnen und Kollegen wertschätzend begegnen, laden ihr kreatives Denken ein. Herrscht in einem Team eine kühle und kritische Atmosphäre, wird das Denken beeinträchtigt. Wertschätzung führt zur Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin. Das verbessert die Durchblutung des Gehirns mit positiven Folgen für das Denken. Empfehlenswert ist ein Verhältnis von 5:1. Einer Kritik sollte eine fünffache Wertschätzung gegenüberstehen. Was läuft denn gut? Nehmen Sie es wahr und schätzen Sie es wert.
  5. Ermutigung: Schluss mit Rivalität, Profilierung und Wettbewerb am Arbeitsplatz! Lange genug wurde gelehrt, dass Konkurrenz das Geschäft belebt. Das Gegenteil ist der Fall. Kooperation macht erfolgreich. Teams, in denen man sich gegenseitig ermutigt, erzielen deutlich bessere Ergebnisse als solche, die ihre Rivalitäten untereinander pflegen.
  6. Gefühle: Wir haben gelernt, dass Gefühle am Arbeitsplatz nichts zu suchen haben. Es gilt der Grundsatz: immer schön sachlich bleiben! Dabei sind heutzutage Zweifel und Ängste allgegenwärtig. Werden sie unterdrückt, kann die Kraft unserer Emotionen nicht in die Arbeit investiert werden. Stattdessen emigrieren wir innerlich und tun Dienst nach Vorschrift. Führungskräfte, die selbst Emotionen zulassen und zeigen, erlauben ihren Kolleginnen und Kollegen, es auch zu tun. 
  7. Information: Die Führungskraft darf gerne relevante Informationen bereitstellen. Das ist die Voraussetzung dafür, kreativ denken zu können. Geheimniskrämerei entmündigt die Kolleginnen und Kollegen. Und am Ende kommt doch heraus, was Sache ist. Beispiel: die Manipulationen im Diesel-Skandal ließen sich auf Dauer nicht verheimlichen. Die Folgen des Skandals kosten Unsummen sauer erarbeitetes Geld, das nun für Investitionen fehlt.  
  8. Unterschiede zulassen: Unterschiede sind das Salz in der Suppe. Sie beleben. Sie laden zur Begegnung ein. Ein Unternehmen, das Unterschiede bei den Kolleginnen und Kollegen als Ressource begreift, kann erfolgreicher sein als eines, das Angst davor hat. Vielerorts hat man Diversität ins Leitbild geschrieben. Wie wird sie konkret gelebt? Dürfen kulturelle, religiöse und fachliche Unterschiede sein? Werden sie als Einladung verstanden? Oder pflegen wir unsere jeweilige Gruppenidentität? Unterschiede fördern kreatives Denken. Immer dem Gleichen begegnen zu wollen schränkt das Denken ein.
  9. Einschneidende Fragen: Das ist eine Spezialität der kreativen Denkumgebung. Stagniert das Denken in einem Meeting oder schweigt man sich an, dann hilft eine Frage wie diese: „Welche Annahme hindert uns daran, an dieser Stelle weiter zu denken?“ Vielleicht sagen dann einige: „Auf meine Meinung kommt es sowieso nicht an. Das entscheidet doch der Vorstand.“ Nun kann eine einschneidende Frage diese Blockade auflösen: „Mal angenommen wir wüssten, dass unser Team die Entscheidung maßgeblich beeinflussen kann, wie würden wir weiter vorgehen?“ Die einschneidende Frage setzt einfach voraus, was man als fehlend betrachtet. Dann lässt sich das entsprechende Verhalten daraus ableiten.
  10. Ort: Der Raum spielt für eine kreative Denkumgebung eine wichtige Rolle. Vielleicht ist es ratsam, die gewohnten Räume einmal zu verlassen und sich an einen anderen Ort oder in eine Klausur zu begeben. Entscheidend ist, dass der Ort jedem einzelnen Teammitglied vermittelt, willkommen zu sein, sich wohlzufühlen und etwas zum Ganzen beitragen zu können. 
     

Die Rolle des Facilitators

Seine oder ihre Aufgabe ist es, auf der Grundlage der 10 Haltungen und durch spezifische Formate (siehe unten) einen stabilen Rahmen zu schaffen, den es für einen kreativen Denkraum braucht. 

Der Facilitator hat die Frage im Blick, um die es geht und gibt methodische Orientierung. Seine Rolle unterscheidet sich von der bekannten Rolle eines Sitzungsleiters oder Moderators durch das, was er nicht tut: es ist nicht seine Aufgabe, eine Rednerliste zu führen oder das Wort zu erteilen. Er schließt keinen Tagesordnungspunkt mit einer Zusammenfassung ab. Er ist nur für den Prozess zuständig, nicht für die inhaltliche Steuerung. 

Es kann sinnvoll sein, für diese Aufgabe einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin speziell auszubilden und sich dafür externe Hilfe zu holen.

Meetingformate für eine kreative Denkumgebung

Grundlage für kreatives Denken ist die Aufmerksamkeit und das Zuhören. Dabei gilt die Regel: solange jemand spricht, wird nicht unterbrochen. Erst wenn die sprechende Person signalisiert, dass sie zu Ende gesprochen hat, übergibt sie das Wort an andere. Natürlich kann eine Redezeitbegrenzung vereinbart werden, falls nötig.

In einem Meeting können vier verschiedene Formate eingesetzt werden, die kreatives Denken fördern:

  1. Runden
  2. Denkpaare
  3. Dialoge
  4. Offene Diskussionen

Runden: Das Prinzip „Runde“ ist einfach und wirksam. Alle Anwesenden kommen nacheinander zu einer bestimmten Frage das Wort. Sie können sich sicher sein, nicht unterbrochen zu werden. 

Eine Runde kann zu Beginn der Sitzung signalisieren, dass alle gehört werden. Es kommt auf jedes Teammitglied an. Das Denken aller ist gefragt, unabhängig von Status, Hierarchie und Erfahrung.

Der Fokus einer Runde richtet sich auf etwas Wünschenswertes: „Was wäre für Sie ein wünschenswertes Ergebnis unserer heutigen Sitzung?“ Oder auf das Gelingen: „Was ist uns seit unserem letzten Treffen gut gelungen?

Eine Runde lädt stillere Teilnehmer ein, sich zu äußern und die kommunikativeren Teilnehmer sind eingeladen, sich zu begrenzen. Durch ungefähr gleiche Redezeiten wir der Grundsatz „Gleichheit“ umgesetzt.

Nicht nur bei der Eröffnung, auch während eines Meetings können Runden durchgeführt werden. Zu jedem Tagesordnungspunkt kann eine eigene Runde stattfinden. Runden können auch eingesetzt werden, um in kurzer Zeit ein Meinungsbild einzuholen oder viele Ideen zu sammeln. Auch wenn sich ein Gespräch so entwickelt, dass sich nur wenige äußern, kann eine Runde wieder alle ins Boot holen.

Denkpaare: Dieses Format ermöglicht ein intensiveres Nachdenken über eine bestimmte Frage. Denkpaare setzen sich zu zweit zusammen. Beide übernehmen abwechselnd die Rolle der denkenden Person wie auch die des Denkpartners. Das Denkpaar besteht also aus zwei aufeinander folgenden Phasen des freien Denkens und achtsamen Zuhörens zu einer bestimmten Frage. Die Frage kann offen formuliert und dabei auf den Tagesordnungspunkt ausgerichtet werden: „Worüber möchten Sie bei diesem Tagesordnungspunkt nachdenken?“

Dialog: Auch beim Dialog teilt sich die Gruppe in Zweierpaare auf. Beide widmen sich einer konkreten Fragestellung und denken über diese abwechselnd und gemeinsam nach. Dialog ist hier aber kein zügiger Austausch von Informationen und Meinungen, verbunden mit dem Versuch, den anderen von der eigenen Meinung zu überzeugen. Die Person, die gerade denkt, wird nicht unterbrochen. Die denkende Person übergibt selbst das Wort.

Runde zum frischesten Denken: Nach Denkpaaren oder Dialogen soll nicht langatmig referiert werden, was besprochen wurde. Stattdessen wird das im Moment „frischeste Denken“ zur Fragestellung vorgetragen. Die Dialogpartner müssen sich nicht geeinigt haben. „Frisch“ meint: was möchten Sie jetzt beitragen, in dem Moment, in dem Sie an er Reihe sind?

Offene Diskussion: Nun kann auch Raum zur offenen Diskussion im ganzen Team gegeben werden. Im Unterschied zu bekannten Diskussionsformaten dürfen im kreativen Denkraum die eigenen Impulse und Überzeugungen in der Schwebe gehalten werden. Sie werden weder unterdrückt noch sofort ausgedrückt. Stattdessen geht es um ihre achtsame Wahrnehmung. Es kommt darauf an, sich selbst auf andere Perspektiven zu beziehen statt Bekanntes zu wiederholen. Auch hier gilt: niemand wird unterbrochen, das Wort wird jeweils übergeben.

Innerhalb eines Meetings können sich die beschriebenen Formate je nach Bedarf abwechseln.

Anspruchsvolle Kommunikation

Es dürfte deutlich geworden sein, dass kreative Denkräume eine anspruchsvolle Form der Kommunikation in der Arbeitswelt darstellen. Sie müssen von der Führung gewollt und von einem ausgebildeten Facilitator verkörpert und gelebt werden.

Kreative Denkräume sind Ausdruck eines Kulturwandels in Unternehmen und Organisationen, der zunehmend stattfindet. Sie erfordern relativierend-individuelle und systemisch-integrale Sichtweisen, wie sie Martin Permantier in seinem Buch „Haltung entscheidet“ beschreibt. Dazu kann man freilich nicht auffordern. Diese Haltungen müssen wachsen und reifen. Das geschieht, je mehr bisherige Haltungen an ihre Grenzen kommen und den Erfolg in Frage stellen. 

Um zu erfahren, wie viel erfolgreicher und lustvoller Meetings als kreativer Denkraum sein können, ist es notwendig, sich offen und vorurteilsfrei auf neue Formen der Kommunikation einzulassen. Auf den ersten Blick scheinen die 10 Haltungen vielleicht „Zeitfresser“ zu sein, die man sich in der schnelllebigen Arbeitswelt nicht leisten kann. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Kreative Denkräume sind in der digitalisierten und globalisierten Arbeitswelt eine wesentliche Grundlage für den gemeinsamen Erfolg. Dabei rückt das Ganze in den Blick. Klima, Kooperation und Erfolg hängen zusammen.

Die Schaffung von kreativen Denkräumen in Unternehmen und Organisationen ist also mehr als ein weiteres Tool für kurzfristigen Erfolg. Kreative Denkräume sind Ausdruck einer veränderten Kultur, die in der Lage ist, auf die heutigen Herausforderungen eine passende Antwort zu geben.

Literatur:

Nancy Kline: Time to  think. Zehn einfache Regeln für eigenständiges Denken und gelungene Kommunikation. Rororo 2016

Marion Miketta: Thinking Environment. Denkräume schaffen in Coaching und Beratung. Junfermann 2018