Warten wir nicht 170 Jahre!

Wir alle kennen das Problem: Frauen sind in Führungs- und Entscheidungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert, in Kontrollgremien sind sie rar und auf wichtigen Podien kaum präsent.

Und wir alle kennen die Zahlen dazu: Zwar sind 54,6% der Abiturienten weiblich und auch beim Hochschulabschluss haben Frauen die Nase vorn, doch werden bloß 21,4% der Führungspositionen in Deutschland von Frauen besetzt, der Anteil weiblicher Aufsichtsräte der Top-200-Unternehmen in Deutschland beträgt 18,4%, derjenige weiblicher Vorstandsmitglieder liegt bei 6,3%. Auch als Unternehmensgründerinnen sind Frauen gegenüber Männern in der Minderheit.

Wir leben im 21. Jahrhundert. Gesetzlich ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau längst festgeschrieben.

Deshalb sind wir geneigt, das Problem kleinzureden: „Frauen können alles erreichen, was Männer auch können, wenn sie wollen. Vielleicht wollen sie nicht.“ Aber im Grunde wissen wir, dass wir es uns damit zu einfach machen. Laut dem aktuellen „Global Gender Gap Report“ des Weltwirtschaftsforums liegt Deutschland derzeit weltweit auf Platz 13. Gemäß dem Bericht hat Deutschland die Lücke zwischen Mann und Frau, die in den verschiedenen Lebensbereichen Bildung, Gesundheit und Überlebenschancen, politische Teilhabe und wirtschaftliche Chancen besteht, zu 76% geschlossen. Bei den wirtschaftlichen Chancen allerdings liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 57! Neben den eingangs genannten Zahlen ist die Lohnungleichheit ein weiterer Grund für dieses schlechte Ergebnis. Außerdem werden Frauen im Berufsleben nicht als gleichberechtigte Partner ernst genommen und Führung wird nach wie vor mit den typisch „männlichen Eigenschaften“ wie Dominanz, Kontrolle, Selbstsicherheit oder Egoismus assoziiert. Und genau da müssen wir ansetzen, bei den stereotypen Geschlechterbildern, die in unseren Köpfen – bewusst oder unbewusst – noch immer vorherrschen.

überlegen

Das Problem ist also kein persönliches.

Es geht nicht um verletzten Stolz oder gekränkte Ehre. Das Problem ist ein gesellschaftliches und damit ein wirtschaftliches und politisches. Denn es geht um Geld: Der Staat investiert Milliarden in die Ausbildung von Frauen, kann von dieser Investition allerdings nicht profitieren. Es geht um die Verschwendung von Ressourcen: Statt das Potenzial gut ausgebildeter Frauen zu nutzen, rekrutieren wir hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. Es geht – wenn man die Sache in einem größeren Kontext betrachtet – um die Belastung unseres Sozialsystems: Frauen sind aufgrund des geringeren Einkommens oder von Erwerbsunterbrüchen im Falle von Mutterschaft im Alter weniger gut abgesichert und deshalb stärker armutsgefährdet. Und es geht um einen Verlust an Wissen und Knowhow durch eine zusätzliche, nämlich weibliche Perspektive.

Mag sein, dass die Einführung der Frauenquote und ähnliche Maßnahmen das Problem entschärfen, lösen wird es allerdings nur ein Umdenken in unseren Köpfen. Gelegenheit dazu bietet beispielsweise der Dokumentarfilm „She started it“. Zwei Jahre lang begleitete die französische Journalistin Nora Poggi mit ihrem Team erfolgreiche, junge Frauen im Startup-Universum und präsentiert mit fünf Gründerinnen unter 30 Jahren inspirierende Vorbilder. Die Initiative „Frauen unternehmen“ des Bundeswirtschaftsministeriums, die noch bis September 2017 dauert, will die Präsenz von Unternehmerinnen in der Öffentlichkeit erhöhen. Und der Tatsache, dass Frauen auf wichtigen Podien kaum präsent sind, hat sich die Initiative speakerinnen.org angenommen. Die Online-Plattform vermittelt Frauen als Rednerinnen und Diskussionsteilnehmerinnen zu einer breiten Themenpalette und verfolgt das Ziel, die Sichtbarkeit von Frauen bei Konferenzen, Panels, Talkshows und überall da zu erhöhen, wo öffentlich gesprochen wird. (Unsere Autorin Birgit Permantier ist übrigens ebenfalls Mitglied in diesem Netzwerk.)

Laut dem „Global Gender Gap Report“ dauert es noch 170 Jahre bis zur globalen Gleichberechtigung. Diesen weltweiten Prozess können wir kaum beschleunigen, den in unserem Land allerdings schon. Warten wir nicht 170 Jahre, packen wir's jetzt an!