Darf New Work auch lean sein?

Martin Permantier im Gespräch mit Andreas Zeuch zur Konferenz "Neue Konzepte für neue Arbeit" #NKNA20 im März 2020

Neue Konzepte für Neue Arbeit

Andreas Zeuch (51) begleitet Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Partizipation und Selbstorganisation. Mit den Unternehmensdemokraten steht er vor allem mittelständischen Unternehmen zur Verfügung. Er ist Mitveranstalter der Konferenz "Neue Konzepte für Neue Arbeit", die am 19. & 20. März 2020 in Mannheim stattfindet. 

Lieber Andreas. Wir bieten unseren Interviewgästen als Intro gerne drei Satzstämme an, die sie vervollständigen sollen:

  1. Die Aufgabe von Führung ist alles Mögliche, nur kein Micromanagement. 
  2. Erfolg ist schön und doch auch gefährlich, denn manchmal werden unsere früheren Erfolge zu einer Falle.
  3. Was mich in Schwierigkeit bringt sind bornierte, selbstüberhebliche Menschen.

Und dann fragen wir gerne unsere Gäste nach ihren 3 wichtigsten Werten und wie sie diese leben. Welche 3 Werte sind das bei Dir?

  1. Freiheit - indem ich versuche, anderen und mir selbst möglichst viele Wahlfreiheiten zu ermöglichen.
  2. Gemeinwohl - indem ich versuche, mich sozial-ökologisch möglichst nachhaltig zu verhalten.
  3. Respekt - indem ich versuche, Menschen von Angesicht zu Angesicht möglichst respektvoll zu begegnen.

Am 19./20. März 2020 findet die von Dir mitorganisierte Veranstaltung „Neue Konzepte für Neue Arbeit“ (#NKNA20) statt. Ihr sagt, Ihr bringt das Beste aus den Welten „lean“ und „New Work“ zusammen. Für wen wird diese Veranstaltung besonders interessant sein?

Für alle, die sich für Lean und oder Neue Arbeit interessieren. Deshalb haben wir auch entsprechend günstige Preise, die auch für Mitarbeiter, Freiberufler oder Student*innen bezahlbar sind.

Was motiviert Dich diese Veranstaltung zum wiederholten Male auszurichten?

Unsere 1. (Un)Konferenz 2018 in Berlin war für uns ein schöner Erfolg. Wir hatten in nicht mal drei Monaten mit hauptsächlich 3 Personen immerhin über 100 Menschen begeistert, die uns anschließend durchgehend sehr positives Feedback gegeben und sich die nächste (Un)Konferenz gewünscht hatten. 

Bei Eurer Veranstaltung möchtest Du auch Neue Arbeit nicht nur durch die Brille der Wirtschaft beleuchten, sondern auch durch die Kunst, Politik und Wissenschaft. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Wir haben für die genannten gesellschaftlichen Sektoren jeweils eine Keynote im Programm, um die Herausforderungen zukünftiger partizipativ gestalteter Arbeit auch aus dieser Sicht zu beleuchten. Kunst ist zum Beispiel sehr inspirierend, wenn wir sie vor allem als selbstbestimmten Prozess verstehen. Arbeit zu demokratisieren hat desweiteren eine politische Dimension und Wissenschaft hilft uns, das aktuelle New Work Kuddelmuddel auf eine empirische Basis zu stellen, weg von rein subjektiven Befindlichkeiten.

Du sagst, dass es Aspekte von Old Work gibt, die man behalten sollte und andere, die tunlichst geändert werden sollen. Hast Du dafür jeweils ein Beispiel?

Klassische Aufbauorganisationen haben ja beispielsweise nicht nur Nachteile wie eine zu geringe Flexibilität, sondern sie haben, wenn sie gut funktionieren, zum Beispiel den Vorteil einer gewissen Klarheit. Der Hierarchieabbau führt dann oft zu Unklarheiten in Rollen und Verantwortlichkeiten. Diese alte Klarheit ist aber durchaus wünschenswert und so stellt sich nur die Frage, wie wir sie auf andere Weise erreichen können. Dieses Beispiel zeigt auch schon den erheblichen Nachteil bürokratischer Strukturen mit langwierigen Entscheidungsprozessen, bei denen Mitarbeitende oft bis meist viele Dinge nicht entscheiden dürfen und sie an ihre Vorgesetzten weiterreichen müssen. 

Welche Entwicklungen bezogen auf die Gestaltung von „Neuer Arbeit“ konntest Du in den letzten Jahren beobachten?

Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass die bisherigen Selbstverständlichkeiten zunehmend öfter in Frage gestellt werden. Das können die traditionellen Aufbau- und Ablauforganisationen sein oder auch der Zweck eines Unternehmens, in der Szene gerne als Purpose beschrieben: Warum gibt es das Unternehmen und wozu? Da erlebe ich immer öfter, dass es nicht mehr ausschließlich um Gewinnmaximierung geht, sondern beispielsweise auch um verschiedene Facetten des Gemeinwohls. 

Was sind für Dich die entscheidenden Faktoren, die bei manchen den Wechsel zu neuen Formen der Zusammenarbeit möglich macht und bei manchen eher schwierig?

Eine sehr, sehr wichtige Frage - übrigens eine, bei der ich mir auch eine Verwissenschaftlichung wünschen würde. Subjektiv habe ich die Erfahrung gemacht, dass es diverse Faktoren gibt, die ich auch in meinem letzten Buch “Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten” aufgeführt habe. 

Zuallererst muss - MUSS - das Topmanagement wirklich hinter dem Wandel stehen und ihn auch persönlich vorleben. Das heißt vor allem, selber Entscheidungsmacht abgeben und sich selbst in diesem Wandel immer wieder kritisch reflektieren, zum Beispiel hinsichtlich der eigenen Erwartungen und Hoffnungen sowie Ängste und Sorgen bezüglich der Transformation. Dabei geht es auch um die Vorbildfunktion dieser Personen. 

Dann brauchte es Geduld - ein Wandel der bisherigen Art, Organisationen zu führen und zu gestalten ist im Allgemeinen nicht in einem Jahr zu erreichen und abgeschlossen. Das hängt natürlich von der Größe der Firma ab.

Ebenfalls sehr bedeutsam ist das Verständnis, dass Neue Arbeit nicht alleine über Technologie verwirklicht werden kann. Es reicht nicht, neue digitale Kollaborations-Tools zur Verfügung zu stellen, um in der Neuen Welt anzukommen. Es geht um ein grundlegend anderes Verständnis und Verhalten bezüglich der EntscheidungsKultur. Das in der gebotenen Kürze. 

In Deinem Artikel „Wie Werte wirken“ in unserem Blog beschreibst Du, das es entscheidend ist, mit welcher Haltung Werte gelebt werden. Siehst Du einen Unterschied in der Haltung bei Unternehmen, die eher zu Lean oder New Work tendieren?

Mit der Frage kratzt Du an meinen Kompetenz- und Erfahrungsgrenzen. Ich bin nicht als Leanbegleiter oder -berater unterwegs. Insofern kann ich da keinen erfahrungsbasierten Vergleich ziehen. 

Bei unserer Arbeit mit unserem Tool der Wertekommunikation haben wir auch immer wieder gesehen, wie entscheidend die Haltung der Führung ist und in wie weit die Führung fähig ist zur Selbstentwicklung. Die Forschungen von Jane Loevinger waren für mich eine große Offenbarung und haben uns animiert, ihr Modell der Reifeentwicklung mit in unsere Workshops zu integrieren und ein Buch darüber zu schreiben. Wie entscheidend glaubst Du ist die persönliche Reife der Führung, wenn es darum geht New Work in der Praxis umzusetzen?

Da sehe ich für alle Beteiligten, nicht nur für die Führungskräfte, eine der größten Herausforderungen überhaupt. Selbstorganisation ist voraussetzungsreicher als Topdown. Ich habe so mein Problem mit dem Reifebegriff, auch wenn ich weiß, was Du meinst, ich lese ja aktuell Dein spannendes neues Buch, das Du gerade erwähnt hattest. Was meines Erachtens auch jenseits eines Reifebegriffs schnell erklärt und belegt ist: Selbstorganisation braucht sehr viel mehr Kommunikation als Topdown. Das ist in der Ursache trivial: Wenn ich nicht mehr anweisen kann, dann muss ich überzeugen, Menschen für etwas gewinnen, gemeinsam einen Sinn entdecken. Und das ist wesentlich aufwändiger. In der Umsetzung ist das dann allerdings alles andere als trivial. 

Welche Eigenschaften glaubst Du, sollten Führungskräfte haben, die sich auf den Weg in Richtung New Work machen?

Andreas: Neugier, Selbstreflexion, Vertrauen, Respekt und Empathie. 

Hand auf Herz. Wir alle haben selber noch alte Denkstrukturen bezogen auf Arbeit in uns. Was sind so die hartnäckigsten Glaubenssätze, die in Deinem Gehirn immer wieder auftauchen?

Nein, ich bin total erleuchtet! Im Ernst: Klar, ich stolpere zum Beispiel immer wieder über Berufsgruppen bezogene Vorurteile. Das Blöde dabei: Natürlich gibt es durch die Berufsausbildung, insbesondere wenn sie ein paar Jahre dauert, auch typische Sozialisationen. Aber natürlich muss ich das im Einzelfall immer wieder prüfen, denn das Leben findet bekanntermaßen jenseits der Gaußschen Normalverteilung statt. 

Nach meiner Beobachtung geht der Wandel zu New Work dann besser, wenn es ein positives, emotionales Referenzbild von der gemeinsamen möglichen Zukunft gibt. Wenn New Work nicht als Trick erscheint, um noch mehr Leistung in Form von Agilität zu fordern, sondern wenn die Bedürfnisse der Beteiligten ernst genommen werden. Was sind Beispiele, die Du kennst, wie man diese positive Referenzbild von der Zukunft erlebbar machen kann?

Ja, sehe ich ähnlich. Die Bedürfnisse der Beteiligten holen wir zum Beispiel von Anfang an mit ins Boot - indem wir eine gemeinsame Problemdefintion erstellen: Was ist das dringlichste und wichtigste Problem, das das Unternehmen zu lösen hat? Denn die Geschäftsführung sieht andere Probleme als Forschung & Entwicklung, als Produktion, als Vertrieb, als Controlling. Auf diese Weise geht es iterativ immer wieder darum, die verschiedenen Sichtweisen einzuholen und zu berücksichtigen. Und ein Bild der gemeinsamen möglichen Zukunft erarbeiten wir ebenfalls ziemlich am Anfang. Da hilft übrigens auch die Kunst wieder. Auf dem Wege lassen sich dann sogar echte Bilder der unternehmerischen Zukunft erarbeiten. 

Zum Abschluss noch drei sehr persönliche Fragen an Dich. Warum ist es für andere manchmal schwierig von Dir geführt zu werden?

Ich lasse manchmal zuviel Freiraum, weil es mir persönlich völlig egal ist, wie jemand zum Ergebnis kommt. Bei Leuten mit wenig Erfahrung ist das natürlich nicht immer hilfreich. 

Was ist der Sinn, den Du Deinem Leben gegeben hast? 

Ich habe nicht nur einen Sinn, hier geht’s um Berufliches: Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass wir alle selbstbestimmt leben und arbeiten können. 

Was sind die 3 wichtigsten Erkenntnisse, die Du weitergeben möchtest?

Da müsste ich eine Weile in mich kehren, das kann ich nicht schnell abrufen. Wichtig war für mich, eines Tages zu kapieren, dass letztlich alles ein Experiment ist, dessen Ausgang wir nicht kennen. Und wenn etwas auch noch so oft zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat, ist das keinerlei Garantie für zukünftige Ergebnisse. Wer das verstanden hat, kann auch leichter etwas völlig Neues ausprobieren. Denn der Unterschied zu den scheinbar erprobten Verhaltensmustern ist nur graduell. 

Danke Andreas für den Austausch. Und jetzt sag uns noch, was man tun muss, wenn man bei dem Event im März 2020 dabei sein möchte.

Erst mal auch Dir und Euch von uns aus vielen Dank für dieses Gespräch! Und nun zu Deiner Frage: Einfach auf unsere Eventwebsite www.priomy.events gehen. Dort findet sich dann alles schnell und einfach. 

Aktualisierung: 

Das Event ist auf den 21. + 22. Januar 2021 verschoben. 

Unsere Empfehlung

Hören Sie bis dahin gern mal rein in unserem Podcast. Besonders inspirierend könnten diese Folgen sein: 

Unternehmensdemokratie, ein Weg zur Transformation unserer Arbeitswelt und Gesellschaft (mit Andreas Zeuch) 

Lean Management trifft auf New Work (mit Franziska Gütle)