Das Politische braucht persönliches Wachstum

Beitrag zur Blogparade #NewWorkPolicies von sterneundplaneten

Was heißt New Work? 

Frithjof Bergmann definierte New Work als Dreiklang von 1/3 Erwerbsarbeit, 1/3 Selbstversorgung und 1/3 Arbeit, die mensch „wirklich, wirklich tun will“. Eine ähnliche Definition sieht so aus: Erwerbsarbeit, Care & Reproduktion, Ehrenamt & persönliche Entwicklung incl. Fortbildung.
Daraus folgt: New Work und Vollzeit, das passt einfach nicht zusammen. (Wer mehr dazu wissen will, hier entlang bitte)

Was brauchen wir, wenn wir New Work umsetzen wollen?


1. Anpassungen im Arbeits-, Steuer- und Rentenrecht

Es geht also auf breiter Ebene um den Abschied von der 40hWoche als „Vollzeit“. Das hat vielfältige Folgen z.B. für die Höhe der Rentenansprüche. Wir brauchen eine Neubewertung von Erwerbsarbeit, Care- und Familienarbeit sowie Bürger- bzw. Ehrenamt, wie sie Markus Väth in seinem Beitrag zu dieser Blogparade anspricht.  Damit dürften wir ganz nebenbei auch dem Ziel von Equal Pay deutlich näher kommen. 

Was jetzt schon dazu beitragen kann, die Erwerbsarbeit gleichmäßiger auf die Partner:innen zu verteilen und im Zusammenhang mit einer Neubewertung sowieso dran ist: Die Abschaffung des Ehegattensplitting. Dazu schreibt Theresa Bücker im SZ Magazin: "Wenn beide in etwa gleich viel Geld verdienen, verringert sich ihre Steuerlast über das Ehegattensplitting nicht. Das Ehegattensplitting wurde gemacht für gut verdienende Frauen, deren Ehepartner auf ein eigenes Einkommen verzichten, um sich in der Zeit um Haus und Kinder zu kümmern. Oder war es anders herum?"

Besonders spannend ist die Frage, wie sich unter veränderten Prämissen ein vernünftiges Arbeitsrecht und ein angemessener Arbeitsschutz gestalten lässt. Im Mai 2020 veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung dazu "New Work: Potentiale nutzen - Stolpersteine vermeiden: Ein Leitfaden zu regulatorischen Grenzen und Chancen". Die Autorinnen Britta Redmann und Birgit Wintermann liefern darin einen umfassenden Überblick, wie derzeit eine rechtssichere Umsetzung möglich ist. Sie beschreiben auch, "wie schwierig eine Anpassung insbesondere an die bestehenden rechtlichen Regelungen ist. Was den Schutz von Mitarbeitern gewährleisten soll, machte nun die Umsetzung einer neuen, von vielen als sehr positiv erfahrenen Arbeitsmethode schwer." Daher werden sie in der nächsten Phase des Projekts "Betriebliche Arbeitswelt in der Digitalisierung" eruieren, wie sich "durch die Gestaltung der Arbeit andere nachhaltige und für die Gesellschaft relevante Ziele" verfolgen lassen. 

2. Partizipation in Kontext von New Work

Die Arbeitsrechtlerin Britta Redmann schreibt dazu: "Die Mitarbeitenden müssen – will man erfolgreich sein – nicht nur nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligt werden, wenn die meisten Entscheidungen gefällt sind. Ein wesentlicher Bestandteil von New Work ist nach meinem Verständnis die Partizipation. Ohnehin stellt sich immer mehr heraus, dass die gesetzlich geregelte Mitbestimmung eigentlich zu langsam ist. Weswegen auch schon viele Betriebsräte selbst agil arbeiten. Ob nun gewählter Betriebsrat oder nicht: In jedem Fall sollte die Umorganisation und Veränderung immer gemeinsam und Hand in Hand mit den Mitarbeitenden geschehen." 

Mein momentaner Eindruck ist dieser: Die Gewerkschaften verstehen New Work vorrangig als Crowdwork und fürchten die Entgrenzung und Prekarisierung der Arbeit. Die Befürchtung, mit Änderungen am Arbeitsrecht mühsam erkämpfte Rechte zu gefährden, mag bisweilen auch mitschwingen und hat sicher auch ihre Berechtigung. Nach meinen Verständnis muss New Work aber nicht zwingend digital sein. Und das Thema Entgrenzung ist für mich nicht unmittelbar mit digitaler Arbeit verknüpft. Eine differenziertere Betrachtung wäre hier vielleicht hilfreich. Denn alle Regelungen komplett daran auszurichten, dass von einer Schutzbedürftigkeit aller Beschäftigen ausgegangen wird, macht nicht überall Sinn. Da der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann die Gewerkschaft als lernende Organisation sieht, bin ich hier zuversichtlich. Eine lernende Haltung ist generell etwas, was wir entwickeln sollten, dazu später mehr. 

3. Neue Rechtsformen für Unternehmen, die Fremdbestimmung und Spekulation vermeiden

Seit Jahrzehnten leben große Unternehmen wie BOSCH, ZEISS und ZF Friedrichshafen Verantwortungseigentum, in dem sie Stiftungslösungen umsetzen. Verantwortungseigentum (Steward-Ownership) setzt auf das Selbstbestimmungsprinzip: "Die Kontrolle bleibt bei Personen, die dem Unternehmen langfristig verbunden sind. Die Stimmrechte und damit die Kontrolle über das Unternehmen liegt bei Menschen, die mit dem Unternehmen verbunden sind und die Werte des Unternehmens langfristig tragen – damit ist das Unternehmen selbstbestimmt. Es gibt keine automatische Vererbung der Stimmrechte, und die Stimmrechte können nicht als Spekulationsgut gehandelt werden. Die VerantwortungseigentümerInnen übernehmen die unternehmerische Verantwortung für das Handeln, die Werte und das Vermächtnis des Unternehmens." (Zitat aus https://stiftung-verantwortungseigentum.de/verantwortungseigentum)

Für viele Mittelständler und Start-Ups ist diese Konstruktion oft zu teuer und kompliziert. Start-Ups wie ECOSIA, EINHORN und STARTNEXT haben dennoch diese Form gewählt. Für eine breitere Verbreitung braucht es jedoch verbesserte Rahmenbedingungen. Wer New Work konsequent weiterdenkt, landet bei "New Work needs New Ownership". 

4. Gemeinwohlorientierung statt Profitmaximierung

Was für mich untrennbar zu New Work gehört, ist das, was Katharina Daniels und Jens Hollmann im von ihnen herausgegebenen Buch "Anders wirtschaften: Integrale Impulse für eine plurale Ökonomie" so beschreiben: "Die Teilhabe am Leben vom ausschließlichen Fokus auf Erwerbsarbeit zu entkoppeln und auf andere Werte zu richten, bedarf eines umfassenderen Verständnisses von Werten. Der eben erwähnte „alternative Wohlstandskompass“ der OECD und die Glücksforschung (s. Einführung) verdeutlichen, was damit gemeint ist, u. a. Gesundheit, generelle Zufriedenheit, Bildung etc. Möchte man angesichts des auf verschiedenen Ebenen geführten Diskurses (Arbeitsplatzsicherheit versus höhere Werte) nicht mit Zynismus reagieren, so braucht es Denkansätze einer Gemeinwohlökonomie und möglicher alternativer Grundeinkommen." (S.147)

5. Technologie mit der Transformation in Organisationen und Gesellschaft zusammendenken

Wie vernetzt die einzelnen Bereiche miteinander sind und daher zusammengedacht und zusammen entwickelt werden müssen, erläutern Katharina Daniels und Jens Hollmann im gleichen Buch: "Zunächst einmal vollzieht sich Industrie 4.0 losgelöst vom sozialen Impact. In den verschiedenen Spielfeldern technologischer Möglichkeiten, ökonomischen Wachstums, politischer Einflussnahme und gesellschaftlichen Bewusstseins herrschen unterschiedliche Wertvorstellungen, Ziele und Sprachen. Bislang konstatieren wir statt Lösungsansätzen eher ein Ping-Pong-Spiel zwischen den Akteuren aus Wirtschaft und Politik, bei dem jeder Part die gesellschaftliche Verantwortung delegiert. Die Wirtschaft will wettbewerbsfähig bleiben, die Politik ist Co-abhängig auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet und hat berechtigte Befürchtungen, dass das, was möglich wäre, durch Verzicht und Begrenzungen in der eigenen Nation zu geopolitischen Wohlstandsverlagerungen führt. Die Synchronisation von technologischem Fortschritt und gesellschaftlicher sowie organisationaler Transformation ist die Aufgabe unserer Zeit: Hier ist Übersetzungs- statt Richtlinienkompetenz gefragt" (Anders wirtschaften: Integrale Impulse für eine plurale Ökonomie, S.146)

Maja Goepel formuliert es im Gespräch mit enkelfähig ähnlich: "Wenn wir systemisch denken, dann erkennen wir, dass Politik, Technologien, Märkte und individuelles Handeln immer wieder wechselseitig aufeinander einwirken. Sie geben sich gegenseitig Anstöße zur Veränderung – und im Laufe der Zeit wandelt sich so die Architektur des ganzen Systems. Damit entsteht, was ich radikalen inkrementellen Wandel nenne: Viele kleine Schritte, dezentral in Angriff genommen von unterschiedlichen, oft unabhängig voneinander handelnden Akteuren, schaffen eine Dynamik, die eine grundlegende Neuausrichtung der Gesellschaft mit sich bringt." 

Wie kommen wir ins Tun? 

 

Let´s grow up! 

Gesellschaftliche Entwicklung fängt bei der Entwicklung jeder einzelnen Person an. Denn ihre Denkweise bestimmt die grundlegende Fähigkeit, die eigenen Interessen zu vertreten (versus Schutzbedürftigkeit), über den Tellerrand hinaus andere Interessen ebenfalls als berechtigt anzuerkennen und mit etwaigen Diskrepanzen konstruktiv umgehen zu können. All das brauchen wir, wenn wir New Work leben wollen und erst recht, wenn wir die Bedingungen dafür schaffen wollen. 

Die Entwicklungspsychologin Jane Loevinger hat diesen Weg mit den 4 Dimensionen der Ich-Entwicklung beschrieben

  1. Charakter: Umgang mit eigenen Impulsen und Maßstäben – von impulsgesteuert zu selbstregulierend
  2. Interpersoneller Stil: Art und Weise,  mit anderen umzugehen – von manipulierend zu tragfähig, Autonomie respektierend
  3. Bewusstseinsfokus:  Bereiche auf die sich die Aufmerksamkeit richtet – von extern (Autoritäten) zu intern (Motive, Gefühle)
  4. Kognitiver Stil: Art und Weise der Denkstrukturen – von undifferenziert zu komplex, multiperspektivisch

Mehr dazu in der Podcast-Folge "Ich-Entwicklung verstehen und gestalten" mit Thomas Binder. 

Wir haben diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in das Modell der sechs Haltungen übertragen.

Arbeit wird je nach Haltung unterschiedlich interpretiert und verstanden

Haltung haben wir nicht, wir entwickeln sie – oder auch nicht. Unsere Haltung bestimmt unseren Blick auf die „Realität“. Eine Erweiterung der Haltung können wir nicht verordnen - weder uns selbst noch anderen. Wir können ihr aber Raum geben.

Denkstrukturen und Ihre Erweiterungsmöglichkeiten 

Wie die bereits entwickelte Haltung die Denkweise formt und wie eine Weiterentwicklung der Haltung die Denk- und Handlungsmöglichkeiten erweitert, zeigt diese Grafik 

Je mehr Menschen in der Lage sind, das große Ganze in den Blick zu nehmen und die wechselseitige Verbindung allen Seins, die tiefe Bindung zwischen Mensch, der Natur und dem Planeten (Interbeing) zu erkennen, umso besser. Denn damit wachsen unsere Fähigkeiten, Wandel zu gestalten, Unsicherheiten auszuhalten und mit Ambivalenzen umgehen zu können. 

Es geht darum, Entwicklungsmöglichkeiten schaffen, damit es möglich und attraktiv wird, Verantwortung zu übernehmen. Für sich und die Gemeinschaft, in Politik und Wirtschaft – sowohl in der Führung wie bei den Mitarbeitenden.

Auch um über das Stadium hinaus zu kommen, das Luisa Neubauer und Carola Rackete in ihrem Spiegel Essay zu den Rodungen im Dannenröder Wald so beschreiben: "Weil einige die Macht haben zu entscheiden, dass es in Ordnung ist, das Pariser Abkommen zu brechen, nicht aber einen Straßenbauvertrag. Weil es für Entscheider okay ist, die Einhaltung von Biodiversitätsabkommen zu gefährden, nicht aber einen Koalitionsbeschluss."

Wie lässt sich intrinsisch motivierte Selbstentwicklung unterstützen? 

Drehen wir die Frage erstmal um: Was kann Entwicklung bremsen oder gar stoppen?

Im Wesentlichen sind das folgende 6 Faktoren 

  1. Einkapselungen, angehaltene Gefühle
  2. Soziales Umfeld
  3. fehlende Bildung
  4. fehlende Vorbilder
  5. Ignoranz („Ich habe es verstanden“)
  6. Identitätsverlust 

Entwicklungsfördernde Lebenserfahrungen haben hingegen folgende Eigenschaften. 

  1. stellen die Struktur der bisherigen Haltung in Frage
  2. sind persönlich bedeutsam
  3. emotional fordernd
  4. interpersoneller Natur
  5. als Herausforderung positiv interpretierbar 

Conclusion: Jede:r kann was tun. Für sich selbst, im direkten Umfeld und durch Einflußnahme auf gesellschaftliche Prozesse. Und je mehr sich auf den Weg machen, umso wahrscheinlicher erreichen wir das Ziel. 

„Ich habe gelernt, dass man nie zu klein dafür ist, einen Unterschied zu machen.“ (Greta Thunberg)

In diesem Sinne: Immer wieder raus aus der Komfortzone, rein ins persönliche Wachstum – nicht (nur) für sich selbst, sondern für das große Ganze. Am besten kollaborativ, wie in dieser Blogparade. Herzlichen Dank an sterneunplaneten für die Einladung!